Am Samstag gingen über 10.000 Menschen für Berlins erste internationalistische, antirassistische, antikoloniale und antikapitalistische Pride Parade auf die Straße. Die Demo, die am selben Tag wie der Christopher Street Day Parade stattfand, war die vielfältigste queere Pride-Demonstration aller Zeiten in Berlin und brachte verschiedene queere Communities unter dem Banner “Keine*r von uns ist frei, bis wir alle frei sind” zusammen. Mehr als 450 Zuschauer*innen verfolgten die Demonstration per Livestream.
Berlins queere Bewegung hat damit einen Meilenstein erreicht. Im Jahr 2019 riefen die Veranstalter*innen einer sogenannten “radikalen” Pride Demo die Polizei, um pro-palästinensische Queers aus der Demo entfernen zu lassen. In 2021 hallten dieselben Straßen Kreuzbergs von Tausenden von Demonstrierenden wider, die “Free, Free Palestine”, “Hoch die Internationale Solidarität” und “Aqui, está, la resistencia trans!” skandierten.
Organisiert von einer Koalition aus den Gruppen QuARC, Bloque Latinoamericano, Migrantifa Berlin, Jüdischer Bund, Palestine Speaks, Constellation of Liberation, Berlin Migrant Strikers, BDS Berlin und Berlin Against Pinkwashing, schuf die Demonstration einen Raum für alle Menschen in Berlin, die sich weder durch den kommerziellen CSD noch durch die weiß-zentrierten aktivistischen Netzwerke vertreten fühlen.
Die Demonstrierenden trugen riesige Fäuste, Pappmaché-Rosen und Schilder mit der Aufschrift “Sisters and brothers of Poland and Hungary you are not alone”, “Jewish Queers for a Free Palestine” und “Free Egypt’s Tiktok Women!”
Die Demo bestand aus vielen selbstorganisierten Blöcken, darunter Queers mit Be_hinderung, ein Anti-Bolsonaro-Block, queere Palästinenser*innen, der Jüdische Bund, kurdische Queers, Queers der syrischen Revolution und ein Abya Yala – Sudaka – Latino-Block. Eindrucksvolle Reden wurden von Migrantifa, queeren palästinensischen Aktivist*innen, dem Jüdischen Bund, Mad und Disability Pride, DW Enteignen, Bloque Latino Americano und den queeren polnischen Aktivist*innen von Constellation of Liberation gehalten.
“Allen Geflüchteten wird das Recht verweigert, selbst zu entscheiden, wo sie leben wollen, aber bei LGBTQI* Geflüchteten, die im Alltag vielen Gefahren und Diskriminierung ausgesetzt sind, ist es noch schlimmer. Wir fordern das Recht auf eine sicheren Wohnort, nicht isoliert von LGBTQI* Communities und der breiteren Gesellschaft! Wir fordern das Recht, selber zu wählen, wo wir leben wollen. Wir fordern, dass Deutschland, wie 1884 bei der Aufteilung des afrikanischen Kontinents, auch jetzt die Verantwortung übernimmt und eine formelle Entschuldigung an die vom Kolonialismus betroffenen Länder ausspricht, gefolgt von der Rückgabe von Raubkunst und Artefakten dorthin, wo sie hingehören: in die Länder, aus denen sie kommen. Reparationen stehen nicht mehr zur Diskussion; sie sind längst überfällig. Und wir sollten die Bedingungen diktieren. Wir fordern einen erweiterten Lehrplan in den Schulen, in dem umfassend über die koloniale Vergangenheit Deutschlands und über Rassismus gelehrt wird, sowie eine vielfältigere Bildung, die auch geschlechtliche und sexuelle Vielfalt umfasst.” – Marlize, kenianische Trans*-Aktivistin.
“Der israelische Staat spioniert uns aus und benutzt unsere sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität, um uns zu erpressen und zu bedrohen, in dem Versuch, die Homofeindlichkeit der Gesellschaft gegen uns zu verwenden. Gleichzeitig stellt er sich als großer Verteidiger der Rechte von queeren Menschen dar. Aber es gibt keinen Pride (Stolz) in der Besatzung. Es gibt keinen Pride und keine Sicherheit unter andauernder Kolonialisierung, keinen Stolz auf die Apartheid. Wir weigern uns, als Werkzeug für die israelische Besatzung benutzt zu werden, um ihr Image in der Welt aufzupolieren. Unsere Freiheit als Queers ist untrennbar mit unserer Freiheit als Palästinenser*innen verbunden.” – ein*e queere*r palästinensische*r Aktivist*in.
“Alle und jeder Kampf gegen Faschismus, Imperialismus und Fundamentalismus, gegen den Kapitalismus, sind Teil unseres gleichen internationalistischen Kampfes um Befreiung. Das ist der Grund, warum wir heute hier sind. Um einen der wichtigsten Slogans der polnischen Proteste zu verwenden – ihr werdet niemals alleine gehen!” – ein*e Aktivist*in von Constellation of Liberation.
“Genauso wie queere Kämpfe werden Juden*Jüdinnen und Antisemitismus oft instrumentalisiert, um Rassismus gegen Palästinenser*innen, gegen muslimische Menschen und Araber*innen zu rechtfertigen. Wir verweigern uns dieser Rolle! Queere Räume müssen gegen Gentrifizierung verteidigt und von Nationalismus, Zionismus und allen Formen weißer Vorherrschaft befreit werden.”- ein*e Aktivist*in vom Jüdischen Bund.
Während der Demonstration begannen einige rechtsgerichtete “Journalist*innen”, Nahaufnahmen von Teilnehmer*innen zu machen. Als die Organisator*innen die Fotograf*innen aufforderten, die Privatsphäre der Demonstrierenden zu respektieren, behaupteten die Journalist*innen, sie hätten Angriffe auf ihre Pressefreiheit erlitten. Die Aufforderung an Journalist*innen, Porträtfotos ohne Zustimmung zu unterlassen, stellt keinen Eingriff in die Pressefreiheit dar. Trotz dieser Schikanen und der Polizeigewalt während der Demonstration wurde der Pride-Zug bis zum Ende der geplanten Route fortgesetzt. Zwei Personen wurden während des Marsches verhaftet, beide wurden innerhalb einer Stunde wieder freigelassen und werden von den Organisator*innen der Demonstration unterstützt.
Die Organisator*innen der Demo stehen fest zu ihren Überzeugungen, zu ihrem Engagement für den Kampf für ein freies Palästina und in Solidarität mit allen unterdrückten Menschen auf dieser Welt. Als eine breite und vielfältige Gruppe mit Mitgliedern und Unterstützer*innen verschiedenster Backgrounds und Identitäten ist die Politik von QuARC sowohl radikal als auch soft, geleitet von revolutionärer Liebe und verwurzelt in Prinzipien wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Fürsorge und Befreiung.
Die internationalistische Pride zeigte, dass unsere Kämpfe zwar unterschiedlich sein mögen, wir aber viele sind und gemeinsam eine große Macht gegen den Status quo darstellen. Mit den Worten von Marsha P. Johnson, einer der Mütter der trans* und queeren Befreiungsbewegung, gibt es “keine Pride für einige von uns, ohne Befreiung für alle von uns”.